Das Apartment war klein und voller Bücher und
Stapel von ausgedruckten Blättern, Modezeitschriften, philosophischen Werken
und so weiter…
Der Inder
Die laue Tropennacht spielte mit den weißen Vorhängen vor
dem Fenster. Guido starrte ins Internet und soff ein Bier nach dem anderen.
Eine kleine Lampe erhellte den Hintergrund und draußen zuckten leise Blitze
über den Wolken. Es hatten sich schöne Wassertröpfchen auf der gelben Dose
gebildet, die er vor einer Minute aus dem Eiskasten genommen hatte. Er riss sie
auf und goß sich ein neues Glas voll. Er war kultiviert. Er trollte ein
Esoterikforum mit politisch inkorrekten Meinungen über Homos und Nazis und den
Kalkiavatar. Plötzlich fuhr ein Windstoß hinein und blies ihm die Vorhangspitze
ins Auge- Scheiße! Es begann zu schütten, er ließ das Fenster offen- das Leben
war gut.
Doch da! Es kroch ein
irrsinniger ein widerlicher Gestank herein, wie Ärsche mit einer leichten Brise
billigen Deos und altem Schweiß. Wütend stürmte er zum Fenster und sah hinaus;
er wurde nass. Rechts war nichts doch links gegen den Wind starrend sah er wie
zwei abscheuliche Birkenstocksandalen auf dem Sims der benachbarten Wohnung im
Regen lagen, welche die Quelle des kakodämonischen Odeurs darstellten. Sofort
schlug er das Fenster zu, er ging im kleinen Zimmer auf und ab, sein Herz
raste. Zur Beruhigung nahm er einen Schluck Bier. Er goss sich ein neues Glass
ein doch hielt er es nicht aus: es war zu stickig. Er musste das Fenster
einfach wieder aufmachen. Als er das tat, war der Gestank verschwunden. Er
kümmerte sich wieder ums Internet. Er hörte Le freak c’est chic während er
einer unbedarften Wiccaanhängerin mit goetischen Dämonen drohte als wieder ein
Hauch jenes Höllengestanks vom Nachbarn kam. Der Nachbar war Inder und
irgendsoeine Art von Hippiemusiker, er spielte ein traditionelles Instrument,
das so aussah wie eine Biwa oder eine Zither nur größer. Der Mistkerl war wohl
gerade mit seiner italienischen Freundin von einer Tour zurückgekehrt. Der
Gestank machte das Denken schwer vor allem wenn das Fenster, was indiziert war,
geschlossen gehalten werden musste um nicht noch mehr hereinzulassen.
Peripatetisches Auf- und Abrennen nur unterbrochen von einigen Schluck Bier
brachte kein Ergebnis. Er erweiterte seinen Radius auf sein Vorzimmer und da
hatte er eine Idee. In einem Kübel, in dem er originalverpackte Filmposter,
Degen und Stöcke aufbewahrte, stack auch ein langer, dünner Bambuszweig, den er
vom Garten seines Hauses bevor es verkauft wurde zum Andenken mitgenommen
hatte. Er schnallte sich eine japanische Grippemaske um und bewaffnete sich mit
jenem Stecken. Er reckte sich beim offenen Fenster hinaus und hatte Glück: der
Nachbar hatte seines geschlossen. Mit dem Bambus lehnte er sich so weit es ging
hinaus um jene unglücklichen Sandalen vom Sims zu stoßen doch gelangte er nicht
hin. Er musste etwas weiter gehen. Vorher noch ein Schluck Bier.
Er kniete sich aufs
Fensterbrett und stellte einen Fuß auf den verzinkten Sims. Nun konnte er sie
schon berühren. Er musste näher ran. Er fokussierte sich auf sein Ziel und
stieg mit beiden Beinen hinaus. Der Regen war stark, aber er konnte einen, den
näheren Schuh erreichen und über den Sims hinunterwischen. Zuerst hatte er
Angst, jemand könnte den Aufprall hören doch das Nachbarfenster blieb geschlossen.
Doch nun bekam er Panik er könne fallen und wollte es nicht wagen, auch noch
den zweiten zu erreichen. Befriedigt kehrte er in die Wohnung zurück, sah beim
Fenster hinaus während er sich mit einem Küchentuch, das ein wenig nach
Heringen und Zwiebeln roch, die Haare abtrocknete, und es kam ihm vor, dass der
Gestank beinahe völlig verschwunden wäre. Er beugte sich hinaus und sah den
Hippieschuh unten liegen als jemand mit einem großen Schirm ins Haus ging und
die Sicht versperrte. Nachdem die Person die Eingangstür aufgesperrt hatte und
eingetreten war, war auch vom Schuh nichts mehr zu sehen! Guido wurde beinahe
wahnsinnig, er zog sich seine Barbourjacke und braunen Rehlederschuhe an und
wartete bis es am Gang wieder ruhig wurde. Dann hastete er nach unten und
tatsächlich: die verdammenswerte Person hatte doch wirklich den Schuh wieder
hereingeschleppt und ihn brav unter die Postkästen im Erdgeschoss gelegt. Er
war spontan und kreativ: mit seinem bifurkaten Wohnungsschlüssel pickte er die
Sandale vom Boden und balancierte sie vor sich her. Sie schien stabil. Er hörte
die obere Türe aufgehen: Der Inder! Wenn er ihn erwischte, war es aus. Er eilte
zur Haustür, schaffte es sie aufzumachen. Schritte kamen die Stiegen herunter
doch er war draußen. Er ging schnell die Straße hinunter, hatte Sorge, dass ihn
jemand mit dem Sandalen sehen könnte, der später als Zeuge gegen ihn aussagen
würde, doch war niemand in der Nähe. Er musste sicher gehen, dass ihn der
Geruch nicht mehr belästigte. Zwei Minuten dann war er bei der Brücke über den
alten Bach der in dieser Stadt zumeist unterirdisch floss doch hier ein Stück
in einem tiefen, vermauerten Kanalbett über offenem Himmel dahinströmte.
Dorthinein warf er das Ding.
Des nächsten Tages, es hatte aufgeklart, schlenderte er über jene Brücke
und sah hinunter. Das Unglaubliche war eingetreten: dort unten lag, trotz der
reißend angeschwollenen Wassermassen, immer noch der Sandale am Rande jenes zu
einem Fluss angewachsenen Bächleins. Er würde hinuntergehen müssen um sicher zu
gehen, dass er ihn endgültig entsorgte. Doch leider war es illegal, dort
hinunterzusteigen, der Treppenweg war beschwerlich und führte über glitschige
steile Stufen und es gab das Gerücht, dass dort unten degenerierte
Stadtstreicher und weiter unten, wo der Fluss wieder in einer Betonhöhle
verschwand, sogar Vampire leben sollten. Er ging ins Apartment zurück um zu
überlegen, doch fühlte er, dass er dann doch vielleicht des Nachts, wenn ihn
keiner sah, einst dort hinuntersteigen werden müsse.